Rezensionen


Berthold Schwarz:
Leben im Sieg Christi
Die Bedeutung von Gesetz und Gnade für das Leben des Christen bei John Nelson Darby
Systematisch-theologische Monografien 22
Gießen (Brunnen) 2008
652 Seiten. ISBN 978-3-7655-9550-9. € 39,95


Es musste ja einmal so kommen, dass sich ein deutscher Theologe der wohl herausragendsten Persönlichkeit der Brüderbewegung annimmt, um deren Theologie und Einfluss auf die evangelische/evangelikale Welt bis heute gründlich zu untersuchen. Und das ist gut so! Denn eine solche Arbeit lag bisher (abgesehen von einem ersten Ansatz durch Erich Geldbach) von einem deutschen Autor noch nicht vor und war deswegen längst überfällig. Berthold Schwarz, Dozent für systematische Theologie an der FTH Gießen, erweist sich jedenfalls als befähigt dazu. Eine so tiefgehende Analyse der Gedanken Darbys und seiner Lehren stand bisher dem deutschen Leser noch nicht zur Verfügung. Was darf man von diesem 650 Seiten starken Werk erwarten?

Man wird nicht enttäuscht, wenn man hofft, bis ins Detail über das Denken Darbys und die Zusammenhänge und Feinheiten seiner Hermeneutik, Soteriologie, Ekklesiologie und Eschatologie informiert zu werden. Akribisch wurden dazu seine Originalschriften untersucht, und nicht nur das, auch fast sämtliche bis dato erschienenen zahlreichen Untersuchungen über Darbys Theologie und Leben im englischen Sprachraum werden in ihren grundlegenden Zügen und Absichten vorgestellt und ausgewertet. Der riesige Fußnotenapparat mit Quellennachweisen und weiteren teils umfangreichen Erläuterungen macht deutlich, wie tiefgehend sich der Autor mit unzähligen Fragen und Details beschäftigt und wie viele Quellen er ausgewertet hat. Gründlicher kann man es kaum machen.

Wie schätzt der Autor nun die Bedeutung Darbys ein? Er folgt der schon von E. Geldbach vertretenen Einschätzung, dass man die außerordentliche Bedeutung Darbys und seinen Einfluss auf evangelisches/evangelikales Denken kaum hoch genug einstufen kann. Berthold Schwarz gelingt es dabei, die eigene Wertschätzung und Würdigung dieses begnadeten Dieners Christi durchgehend deutlich werden zu lassen und die Balance zu halten zwischen Respektierung und Würdigung Darbys einerseits und behutsam kritischer Hinterfragung andererseits. Letztere ist zweifellos notwendig, wenn es um die negative Seite der Brüderbewegung mit ihren vielen Spaltungen und Trennungen geht, die ihre Grundlage eben auch in Darbys Gedanken, nämlich seinem so eigenartigen Konzept der „Einheit in Reinheit“ durch „Trennung vom Bösen“ haben.

Doch der Schwerpunkt der Untersuchung von Berthold Schwarz liegt natürlich bei dem für Darbys Denken bestimmenden Gegensatz von „Gesetz und Gnade“, auf den der Untertitel hinweist, und da wird man über weite Strecken des Buches mit dem reichen Schatz und Erbe konfrontiert, das Gläubigen verschiedener Denominationen weltweit so viel gegeben hat und bis heute zu geben vermag und das auch das eigentliche Kernstück des Brüdertums bleibt. Unbezweifelt bleibt daher auch die Tatsache, dass der Gemeinde Jesu durch die „Brüder“ unendlich viel Segen in der Erkenntnis des Heils und der Gedanken Gottes mit seiner Gemeinde gegeben worden ist. Leider, und das gesteht auch der Autor klar ein, hat die „Kehrseite der Medaille“, die so unglücklich und leidvoll praktizierte „Trennung vom Bösen“, dem Ansehen des Brüdertums auch sehr geschadet und dieses deshalb eher an den Rand der Peripherie im Spektrum gemeindlich-kirchlicher Existenz gedrängt.

Man darf nicht irritiert sein, wenn der Autor im Zusammenhang mit seiner Untersuchung das Anliegen deklariert, die Darlegung der Theologie der Brüderbewegung (auf der Grundlage der Gedanken Darbys) als Beitrag zum interkonfessionellen bzw. ökumenischen Dialog zu verstehen. Die Vorlage als Doktorarbeit der evangelischen Theologie verlangt solchen gesamttheologischen Bezug und solche Standortbestimmung. Allerdings darf die zum Schluss geäußerte Hoffnung, dass die Brüder bis in ihre exklusiven Kreise hinein an einem solchen Dialog teilnehmen sollten, um ihrer Erkenntnis (wieder) eine größere Resonanz im Gesamtspektrum kirchlicher Theologie zu verschaffen, mit einiger Skepsis betrachtet werden.

Dieses umfangreiche Werk zu studieren ist zweifellos eine große Herausforderung, zumal aus zahlreichen englischen Quellen leider nur in der Originalsprache zitiert wird und die entsprechenden Passagen nicht übersetzt werden. Das schmälert für den sprachunkundigen Leser den Gewinn, weil sich u.U. wichtige Belege nicht so ohne weiteres in die Rezeption der Ausführungen aufnehmen lassen.

Es bleibt zu wünschen, dass sich trotzdem viele die Mühe machen, dieses hervorragende Werk zu studieren. Nicht um einem begnadeten Diener Gottes, der Darby zweifellos gewesen ist, die Ehre zu erweisen, sondern um mittels seiner Erkenntnis vermehrt die Tiefe der Heilsgedanken Gottes zu erfassen und zu lernen, den treffend gewählten Titel des Werkes, nämlich das „Leben im Sieg Christi“, für sich persönlich wieder neu – als Herausforderung und Geschenk zugleich – zu begreifen.

Joachim Pletsch


Wird von der geschichtlichen Entwicklung der Brüderbewegung gesprochen, wird kein Name so oft genannt wie der von John Nelson Darby (1800–1882). Auf der einen Seite gilt er als eine der herausragenden Vätergestalten der „Brüder“, der über sie hinaus alle evangelikalen Kreise mehr geprägt hat, als den meisten bewusst ist, auf der anderen Seite steht aber bedeutend mehr seine Rolle im Vordergrund, die er im Blick auf die beschämenden Spaltungen – besonders im angelsächsischen Raum – innerhalb der Brüderbewegung gespielt hat, einer Bewegung, die doch ausdrücklich für die sichtbare Einheit der Gemeinde Jesu Christi eingetreten ist. Das ist bedauerlich, denn Darby hat als Theologe und Bibellehrer weit mehr hervorgebracht als die Radikalisierung einer Idealvorstellung von der Gemeinde – mit den genannten traurigen Folgen –, was dann vorschnell als „Sonderlehre“ abgetan wird. Aber wer macht sich schon die Mühe, die 34 Bände seiner „Collected Writings“ (= Gesammelte Schriften) und seine sonstigen verstreuten Schriften in englischer Sprache durchzustudieren? In deutscher Übersetzung sind nur kleinere Arbeiten im „Botschafter“ des 19. Jahrhunderts versteckt, und in der R. Brockhaus-Reihe „Betrachtungen über das Wort Gottes“ ist eine Anzahl von nicht sehr ausführlichen Auslegungen von Darby vorhanden.

Umso erfreulicher ist es, dass 160 Jahre nach der Bethesda-Trennung von 1848, dem aufsehenerregendsten Ereignis um die Person Darbys in der Frühgeschichte der Brüderbewegung, ein umfangreiches Werk vorgelegt wird, das der Gesamtleistung des Theologen Darby eher gerecht wird.

Berthold Schwarz, Dozent für Systematische Theologie an der FTH Gießen, ist es – wie der Untertitel schon ausdrückt – ein Anliegen, das Verhältnis von Gesetz und Gnade für das Leben des Christen als Schwerpunkt im Gesamtwerk Darbys deutlich zu machen, nicht zuletzt auch in seiner Wirkung für die „Brüder“-Theologie.

Selbstverständlich geht der Verfasser auch auf Darbys Persönlichkeit, auf sein Leben und Werk ein, lässt die für die Entwicklung der Brüderbewegung so bedeutsame Ekklesiologie (= Lehre von der Versammlung/Gemeinde) nicht aus, stellt dar, welchen Anteil Darby am Dispensationalismus, an der heilsgeschichtlichen Strukturierung der Bibel hat ebenso wie an der Exegese der Prophetie im Blick auf die Eschatologie (= Lehre von der Endzeit). Auch Darbys besondere Art der Hermeneutik (= Methode der Schriftauslegung) wird hinreichend gewürdigt. Aber über 300 Seiten widmet der Verfasser allein dem Thema „Gesetz und Gnade“, das er als einen Schwerpunkt der Theologie Darbys ausführlich analysiert.

Zu Beginn des Buches wird auf die reichhaltige – besonders angelsächsische – bisherige Sekundärliteratur über Darby eingegangen, in einem letzten Teil sein Bibelverständnis seitens späterer bibeltreuer Theologen und seitens des Verfassers kritisch befragt. Die außerordentliche Belesenheit des Verfassers, der bei seiner Untersuchung mit akribischer Sorgfalt vorgeht, wird durch eine Literaturliste von 70 Seiten und 2434 z.T. ausführliche Anmerkungen (praktischerweise nicht am Schluss des Buches, sondern jeweils auf der entsprechenden Seite) unterstrichen.

Im Hauptteil aber wird nachgewiesen, dass Darby dem alttestamentlichen Gesetz (einschließlich der Zehn Gebote) für das wiedergeborene Glied am Leib Christi keine Bedeutung mehr zuordnet. Der Christ lebt durch die Gnade Gottes, in der Kraft und durch die Führung des Heiligen Geistes nach dem Vorbild seines Herrn. Der biblische Sittenkodex, dem in allen christlichen Kirchen gehorcht werden soll, wird von Darby als äußerliche religiöse Pflichtübung verstanden, die keinen Sieg Christi im Leben (vgl. Titel des Buches!) des Christen hervorbringen kann. „Wandelt im Geist statt unter dem Gesetz!“ ist das Motto, das die Einhaltung göttlich-biblischer Verhaltensnormen als geistgewirkt und daher als selbstverständlich einbezieht, eine Idealvorstellung praktischen Christenlebens, die übrigens auch Carl Brockhaus in seiner einzigen Monographie „Alles in Christo“ dargestellt hat. Diese Erkenntnis bedeutet aber nicht die Proklamierung eines Perfektionismus, denn auch Darby wusste um die Unvollkommenheit des praktischen Christenlebens, sondern sie betont die wunderbar hohe Stellung eines Himmelsbürgers, in Christus völlig gerechtfertigt vor Gott, während sein Zustand zuweilen noch leider zu wünschen übrig lässt.

Dass man dennoch gerade in der Brüderbewegung der Gesetzlichkeit nicht entraten hat, nicht einmal auf dem Gebiet unterschiedlicher Lehrauffassungen, gehört zu jenen Unvollkommenheiten praktischen Christenlebens, das dem hohen Anspruch geistgewirkten Wandels nicht gerecht wird, weil es oft einfacher ist, Gebote zu befolgen, als auf die Stimme des Heiligen Geistes zu hören. Der Verfasser weist aus Darbys Schriften nach, dass auch er die Spannung zwischen der Verpflichtung zur Einheit und der Verantwortung für eine – oft vermeintliche – Reinheit nicht auflösen konnte.

Doch ist es wünschenswert, dass Darbys Erkenntnis von der Gnade Gottes für ein „Leben im Sieg Christi“ in unseren Gemeinden Raum gewinnt, damit auch unsere gottlose Umwelt den Eindruck verliert, dass Christsein im Halten von Verboten und Geboten besteht. Möge deshalb dem Anliegen dieses wertvollen Buches eine bereitwillige Aufnahme durch offene Herzen beschieden sein!

Gerhard Jordy

[zuerst erschienen in: Perspektive 5/2009, S. 29]


Links zu weiteren Rezensionen dieses Buches:
• Erich Geldbach in Theologische Beiträge 5/2010

Lesen Sie zu diesem Buch auch unser Interview mit dem Autor.

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