Rezension


Thomas Croskery / Manuel Peters:
Die exklusive Brüderbewegung
Eine Darstellung und Widerlegung ihrer Irrtümer

Köln (sola gratia – Verlag für reformierte Literatur) 2004
354 Seiten. € 24,90


Unter dem Titel Die exklusive Brüderbewegung. Eine Darstellung und Widerlegung ihrer Irrtümer hat der neu gegründete sola-gratia-Verlag (offensichtlich ein kleiner Eigenverlag des Übersetzers) die 1879 erschienene Veröffentlichung Plymouth Brethrenism – a Refutation of its Principles and Doctrines des nordirischen Theologen Thomas Croskery erstmals in deutscher Sprache herausgegeben. Ergänzt wird die Übersetzung neben persönlichen Vorreden des Übersetzers (Manuel Peters) und des Lektors (Volker Jordan) durch eine Ausarbeitung von Manuel Peters, die in zwei Abschnitten (Teil I: „Ein Überblick über die Irrtümer der exklusiven ‚Brüder‘“, Teil II: „Das falsche Evangelium der exklusiven Brüderbewegung“) weitere Informationen liefert.

Croskerys Arbeit enthält durchaus nachdenkenswerte Anstöße; er argumentiert in der Regel sachlich. Störend wirkt sich aber hier und da die Arbeit der Herausgeber aus. Leider werden z.B. die Fußnoten nicht den jeweiligen Autoren zugeordnet. Zwar sind die zahlreichen Einschübe des Lektors (deren Umfang und Häufigkeit teils den Eindruck erwecken, dass er sich offensichtlich nicht zwischen der Rolle eines im Hintergrund wirkenden Lektors und der eines Mitautors und -herausgebers entscheiden konnte) als solche gekennzeichnet, aber bei den übrigen ist unklar, ob sie vom Übersetzer oder von Croskery stammen. Dies gilt vereinzelt auch für Ergänzungen im laufenden Text (z.B. S. 131). Der Leser bleibt so im Unklaren, auf wen eine Aussage wie die, das Brotbrechen der „Brüder“ sei eine „Parodie des christlichen Abendmahls“ (S. 179), zurückgeht. Unverständlicherweise werden die Titel der von Croskery zitierten englischsprachigen Schriften ohne Nennung des Originaltitels ins Deutsche übersetzt.

Die Rezension beschränkt sich im Folgenden bewusst auf die Kommentierung und ergänzende Ausarbeitung der Herausgeber.

Die Herausgeber betonen, dass Croskery diese inzwischen 125 Jahre alte Veröffentlichung „unter ganz anderen Umständen, in einer anderen Zeit und in einem Land, in dem die reformatorischen Lehren der Gnade damals noch wohlbekannt waren“, schrieb (S. 172). Aus dieser Erkenntnis leiten sie aber nicht die notwendige praktische Konsequenz ab, Croskerys Kritik sowohl bei der Darstellung als auch bei der Bewertung der „Brüder“-Lehre auf die aktuelle Situation im deutschsprachigen Raum anzuwenden. Stattdessen werden unabhängig von Croskerys Strukturierung unzusammenhängend verschiedenste Aspekte herausgegriffen: neben grundlegenden theologischen Fragen wie dem Dispensationalismus, der „das Gottesvolk beider Testamente auseinanderreißt und letztlich konsequent gesehen zwei Heilswege lehren muß“ (S. 30), und dem Prämillennialismus u.a. auch in diesem Zusammenhang eher nachrangige Aspekte wie die Textgrundlage der Elberfelder Bibelübersetzung. Eine Einführung in die Grundsätze der „Brüder“ erfolgt unsinnigerweise erst sehr spät auf S. 41. Die Herausgeber schneiden an einzelnen Stellen durchaus zu Recht wunde Punkte an, versäumen es aber leider, die entscheidenden Themen fokussiert und strukturiert abzuarbeiten bzw. Croskerys Einschätzungen einzubetten.

Das im Untertitel geäußerte Ziel, die „Irrtümer“ der Brüderbewegung darzustellen und zu widerlegen, verfehlen die Herausgeber deutlich. Manuel Peters und Volker Jordan hätten gut daran getan, in ihren flankierenden Äußerungen ebenfalls den Ansatz zu verwenden, den Croskery für sich in Anspruch genommen hat: „Schließlich halte ich es für richtig, daß ich den Brüdern keine Lehre zuschreibe, die sich [sic] nicht wirklich auch vertreten, daß ich umfassende Zitate aus ihren Werken angebe und versuche, auf faire Weise sämtliche unter ihnen kursierenden Auffassungen darzustellen. Dabei beschränke ich mich auf die Aufgabe, ihre Argumente ausschließlich von der Schrift her zu widerlegen“ (S. 137). Das Vorgehen von Manuel Peters und Volker Jordan weist demgegenüber grobe Mängel auf.

Bei der Darstellung der „Irrtümer“ haben die Autoren auf eine systematische Literaturauswertung völlig verzichtet. Abgesehen von zwei Darby-Briefen werden nur acht Veröffentlichungen der „Brüder“ zitiert. Jordan gesteht selber ein, die „Brüder“-Literatur „glücklicherweise nur recht wenig“ gelesen zu haben (S. 12f.). Leider sind die wenigen schriftlichen Quellen auch noch vollkommen unzulänglich benannt; so fehlen meist die Seitenangaben, Titel werden fehlerhaft oder ungenau spezifiziert. Die Autoren stellen wortreich dar, was „die Brüder glauben“ (S. 39), sogar wenn diese ihren Glauben nur „denken“ und nicht explizieren (S. 49), bleiben aber größtenteils die Belege schuldig.

Statt auf der naheliegenden Auswertung schriftlicher Quellen basiert die Wiedergabe der „Brüder“-Theologie entweder einfach auf Behauptungen („dies wird im allgemeinen in etwa so begründet“; S. 113) oder auf einer methodisch fragwürdigen Wiedergabe von Äußerungen anonymer oder auch namentlich genannter Akteure. Neben mehreren anonymen Quellen werden u.a. Günter Vogel, Christian Briem, Manuel Seibel, Michael Vogelsang, Arend Remmers, Ortwin Schäfer und Karl-Heinz Weber zitiert. Die Herausgeber greifen dafür auf Aussagen zurück, die die genannten Vertreter „geschlossener“ Versammlungen auf Konferenzen, in Vorträgen, Gottesdiensten, Jugendstunden, Andachten und sonstigen Zusammenkünften geäußert haben. Die Herausgeber scheuen aber auch nicht davor zurück, persönliche E-Mails verschiedener Absender mit Angabe der Autoren als Beleg zu verwerten.

Dass über die Darstellung einzelner Äußerungen bedeutender Persönlichkeiten, garniert mit (teilweise unbedachten?) Aussagen von unbekannten und unbenannten Mitläufern, ein repräsentatives Abbild der „Brüder“-Lehre gegeben werden kann, muss bezweifelt werden. Eine Auswertung der „offiziellen“ Literatur hätte die zitierten Aussagen vielleicht nicht in jedem Fall relativiert, jedoch die Ausarbeitung auf ein festeres Fundament gestellt und nachprüfbar gemacht. Zudem bleibt es neben diesen methodischen Bedenken auch unklar, ob die Autoren der zitierten Mails einer Veröffentlichung zugestimmt haben. Es wäre moralisch äußerst fragwürdig, ohne Autorisierung und Rücksprache namentlich aus (offenkundig privaten) Mails zu zitieren.

Angesichts dieser völlig unzureichenden Recherche wirkt der Anspruch, den „allgemeine[n] Stand in den heutigen deutschen Versammlungen“ wiederzugeben (S. 101), unglaubwürdig und vollkommen überzogen.

Bei der Widerlegung der „Irrtümer“ beschränkt sich die Argumentation nahezu ausschließlich auf die Untersuchung, wo die – wie oben beschrieben, nicht durchgängig verlässlich dargestellte – „Brüder“-Theologie von der „biblisch-reformatorischen Orthodoxie“ (S. 52) abweicht. Sowohl der Übersetzer als auch der Lektor „vertreten Überzeugungen, die im Einklang mit der presbyterianischen Form des Calvinismus stehen“ (S. 17; ihre orthodox-reformierte Sicht wird auf den Seiten 73–90 ausgiebig dargestellt, da ausschließlich sie den Bezugsrahmen bildet, mit dem die „Brüder“-Theologie verglichen wird). Die Überzeugungskraft der Beurteilung lässt jedoch stark zu wünschen übrig, da die Autoren leider nicht verschiedene konkurrierende Auslegungen auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen, sondern ihre derzeitigen Überzeugungen naiv als unumstößlichen Maßstab postulieren. Dieses Vorgehen gipfelt in dem Resümee, die „Brüder“ stünden „nicht auf dem Boden der reformatorischen Rechtfertigungslehre und damit auch nicht auf dem Boden der Bibel“ (S. 126). Das offen ausgesprochene Ziel, die „reformatorische Wahrheit“ zu bekräftigen (S. 54), macht durch die Gleichsetzung des eigenen Verständnisses mit der biblischen Wahrheit eine konstruktive Auseinandersetzung unmöglich.

Die Herausgeber betonen offen, sich mit der Veröffentlichung in erster Linie an die „Brüder“ selbst wenden zu wollen (S. 65). Gerade bei diesem Ansatz erstaunt die Vielzahl verbaler Entgleisungen. So äußern sich Manuel Peters und Volker Jordan u.a. dahingehend, das „Lehrsystem des exklusiven Brüdertums“ sei „derart voll von fundamentalen Irrlehren“, dass „seine bewusste und vollständige Annahme vom Heil ausschließt“ (S. 9, ähnlich S. 16). Die exklusive Brüderbewegung bewege sich „sogar sehr nah an der Grenze zu einer anderen Religion“ (S. 10); „in diesem an sich antichristlichen System“ werde „ein anderes Evangelium propagiert“ (S. 10), das „unter dem Fluch Gottes steht“ (S. 73). Die „Brüder“ stellten sich „in die äußerste Peripherie dessen, was man überhaupt noch in irgendeinem Sinn als christlich bezeichnen kann. Sie verlassen im Grunde den Boden des Heils“ (S. 40).

Darüber hinaus zeugen gönnerhafte Aussagen wie „es ist auch wirklich nicht alles in der exklusiven Brüderbewegung schlecht“ (S. 7) von kaum versteckter Arroganz.

Das Vorhaben von Manuel Peters und Volker Jordan, die „darbystischen Sonderlehren“ aufzudecken (S. 8), muss zusammenfassend als gescheitert angesehen werden. Zweifelhafte Methodik bei der Bestandsaufnahme, angreifende Polemik und egozentrische Beurteilung vergeben die Chance einer überlegten, sachlichen Auseinandersetzung. Dies ist bedauerlich, da die Theorie und Praxis (nicht nur) der „geschlossenen Versammlung“ Stoff genug für eine solche Untersuchung bieten würde. Einige der wesentlichen Aspekte, die es zu untersuchen gälte, nennt übrigens der Text auf dem Buchrücken in komprimierter Form. Es hätte sich durchaus gelohnt, bei den dort aufgezählten Punkten entweder Anspruch und Wirklichkeit zu vergleichen, die biblische Begründung mancher grundlegenden Positionen kritisch zu hinterfragen oder die (psycho)sozialen Voraussetzungen und Auswirkungen hier und da angedeuteter Verhaltensregeln aufzuzeigen.

Ulrich Müller

[zuerst in: Mailingliste APOLLOS, 28. Oktober 2004; auch abgedruckt in: Freikirchenforschung 14 (2004), S. 322–326]

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