Rezensionen
Rolf-Edgar Gerlach:
Carl Brockhaus ein Leben für Gott und die Brüder
Wuppertal/Zürich (R. Brockhaus) 1994
350 Seiten. ISBN 3-417-29386-3
Die vorliegende Monographie über den Gründer und Gestalter der deutschen „exklusiven“ Brüderversammlungen, Carl Brockhaus, darf als ein wichtiger Meilenstein in der Geschichtsforschung der sogenannten Christlichen Versammlung und darüber hinaus auch der gesamten Freikirchenforschung gelten. In akribischer Kleinarbeit skizziert der Autor das Leben und die Theologie des leider vergessenen und vielfach verkannten Evangelisten, Bibellehrers und Bibelübersetzers und bietet zudem eine Prosopographie des gesamten deutschen Brüdertums.Der Autor verfolgt nach einer (leider zu kurzen) Einführung in die englischen Wurzeln der Brüderbewegung die Biographie von Carl Brockhaus. Ausführlich wird auf seine Wirksamkeit innerhalb des „Evangelischen Brüdervereins“ in Elberfeld eingegangen, wo Brockhaus mit anderen wichtigen Freikirchengründern und Erweckungsgestalten zusammenarbeitete (Grafe, Alberts, Neviandt, Ribbeck, Köbner). Intensiv und fachkundig wird nach den Gründen der Trennung im Brüderverein von 1852 gefragt. Wegen der schlechten Quellenlage fällt die Darstellung des Wirkens von Brockhaus ab 1853 kürzer aus, ohne daß wesentliche Lebensstationen im Dunkel blieben. Besonders wertvoll auch weil erstmals dargestellt ist Kapitel fünf mit Ausführungen über die Lehre von Brockhaus. Hervorgehoben werden anhand ausführlicher Zitate seine Bibeltreue, der christozentrische Ansatz seiner Verkündigung, seine zu Diskussionen führende Heiligungslehre, die Ekklesiologie mit der scharfen Absonderungslehre, das Abendmahlsverständnis und die spezifisch prämillenniaristische Eschatologie (S. 167210), die über die Brüderbewegung hinaus auch andere Freikirchen und Gemeinschaftskreise beeinflußte (Dispensationalismus). Hier finden sich die wesentlichen Elemente der Brüder„theologie“, die bis heute vorherrschend sind. Dabei wird immer wieder die Eigenständigkeit Brockhaus’ von Darby betont, der z.B. in der Tauffrage ganz andere Wege ging. Wohl erstmals werden auch plausible Hinweise auf eine mögliche „Wiedertaufe“ von Brockhaus vermittelt (S. 87). Interessant sind zudem die Ausführungen in Kapitel sieben über das Verhältnis von Brockhaus zu anderen Denominationen, die er alle als fehlerhaft und unbiblisch ablehnte, weshalb er auch der Allianzarbeit distanziert gegenüberstand. Im Anhang bietet Gerlach noch einige wichtige Dokumente aus der frühen Brüdergeschichte. Verschiedene Register und eine ausführliche Bibliographie runden das gelungene Werk ab.
Leider fehlt der Biographie eine tiefere Einbettung in den zeitlichen Hintergrund der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, ohne daß dadurch allerdings Aspekte verzeichnet würden. Einige Abschnitte gleiten jedoch ins Erbauliche ab (z.B. die Ausführungen über die Ehe). Die Zitate sind oftmals zu lang und ermüden den Leser. Zudem verwirren manche rein additiven Fußnotenbelege, weil sie wenig differenziert viele Quellen unterschiedlichster Qualität aneinanderreihen. Hier wäre weniger mehr gewesen. Der Forschungsüberblick in Kapitel acht wäre am Anfang der Arbeit dienlicher gewesen. Trotz aller Tiefgründigkeit wünschte man sich manche theologischen Aspekte doch ausführlicher: nur in einem Satz wird z.B. auf die Stellung der Frau in den „Brüder“-Versammlungen eingegangen (S. 196). In der Eschatologie werden keine Hintergrundinformationen über den Prämillenniarismus herangezogen. Der Autor irrt auch in der Meinung, Brockhaus stände mit seiner strengen Verbalinspiration in der Tradition von J.T. Beck, der einen wesentlich offeneren Standpunkt als Brockhaus vertrat.
Unverständlich in der sonst sehr sachlichen Arbeit sind manche pauschalen Werturteile des Autors in Kapitel 9, die man fast als polemische Ohrfeigen für heutige Brüdergemeindler empfinden könnte. Gerlach wirft ihnen „elendes pharisäisches Herabsehen auf andere“ vor, was in der Wortwahl sicher danebengegriffen ist. An anderer Stelle spricht er gar von „sektiererischen Elementen“ innerhalb der Versammlungen (S. 224). Trotzdem spürt man dem engagierten Verfasser eine starke Sympathie für Brockhaus und die frühe Brüderbewegung ab, die ihn zu einer Art distanzierten Liebhaber des untersuchten Gegenstandes macht. Seine offenen Worte der Kritik decken sich übrigens mit einer augenblicklich beachtlichen internen Diskussion innerhalb der „exklusiven Brüder“ über eigene Fehler und Lieblosigkeiten der Vergangenheit.
Bei aller Kritik darf man der Arbeit ingesamt [sic] aber nur gute Noten ausstellen. Eine lang bestehende Lücke in der Erforschung der Brüdergeschichte wurde hier in einer gründlichen Art und Weise geschlossen. Jeder, der sich intensiver mit einer der klassischen Denominationen auseinandersetzen will, die selbst nie eine Denomination sein wollte, wird in Gerlachs Werk reichen Stoff finden.
Stephan Holthaus
[zuerst erschienen in: Jahrbuch für evangelikale Theologie 9 (1995), S. 282284]
Links zu weiteren Rezensionen dieses Buches:
• Wolfgang Bühne in fest und treu 2/1994Lesen Sie auch unser Interview mit dem Autor des Buches.
Startseite > Bibliothek > Rezensionen > Carl Brockhaus
© 2003 by bruederbewegung.de · Letzte Änderung: