Der bruederbewegung.de-Fragebogen
Ausgefüllt von Andreas Liese am 27. November 2004

Andreas Liese wurde 1953 in Berlin geboren und wuchs in einer Versammlung der „geschlossenen Brüder“ auf. Nach seinem Studium an der Pädagogischen Hochschule in Berlin war er als Lehrer an Berliner Gesamtschulen tätig. In den Jahren 1988–93 bildete er sich zum Studienrat in den Fächern Geschichte und Evangelische Religionslehre weiter. Seit 1994 ist er an einem Gymnasium in Bielefeld tätig. 2001 erfolgte am Institut für Geschichte der Technischen Universität Berlin seine Promotion mit einer Arbeit über die nationalsozialistische Religionspolitik gegenüber der Brüderbewegung (über dieses Promotionsprojekt gibt er in einem gesonderten Interview ausführlicher Auskunft). Andreas Liese gehört der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde in Bielefeld-Sennestadt an.


1. Wer hat Sie als geistliches Vorbild in Ihrem Glauben besonders geprägt?

Im Laufe meines Lebens habe ich immer wieder Menschen getroffen, die mir wichtige Anstöße vermittelten. So erinnere ich mich daran, dass es z.B. in meiner Jugendzeit Br. Hanswalter Giesekus aus Dortmund war, der mich sehr beeindruckt hat. Er verband für mich auf überzeugende Art geistliche Weite mit intellektueller Schärfe und gleichzeitiger Zugehörigkeit zum Brüdertum.


2. Welchem Buch verdanken Sie entscheidende Anstöße und Einsichten?

Es gibt viele Bücher, denen ich gute Einsichten verdanke; so waren es z.B. Biografien über den Pfarrer Paul Schneider oder den großen Studentenmissionar John Mott.


3. Gab es in Ihrem Leben eine Situation, die Sie als besondere „Erfahrung mit Gott“ erlebt haben? Wenn ja, welche?

Phasen der Neuorientierung (beruflich, gemeindlich).


4. Haben Sie eine Lieblingsfigur in der Bibel?

Paulus.


5. Welcher biblischen Person würden Sie gerne einmal eine Frage stellen? Welche?

Wieder Paulus: „Erkläre mir doch einmal genau, was du in deinem Brief an die Gemeinde in Korinth wirklich bezüglich der Rolle der Frau sagen wolltest.“


6. Gibt es einen Lieblingsbibelvers, der Sie schon länger „begleitet“?

Die ersten Verse von Römer 12 (nicht der Welt gleichförmig sein, sich Gott hingeben, verändert werden durch die Erneuerung des Sinnes).


7. Wie schaffen Sie es, im Alltag Gott zu begegnen und geistlich aufzutanken?

Zum Beispiel durch das Lesen der Herrnhuter Losungen oder auch durch Predigten im Gottesdienst. Wichtig ist für mich auch die Zugehörigkeit zu einem Hauskreis. Hier lesen wir gemeinsam die Bibel und tauschen uns – ausgehend vom gemeinsamen Gespräch über die Bibel – auch über persönliche Fragen aus.


8. Welche Bibelübersetzung nutzen Sie in der Regel und warum?

Das ist ganz unterschiedlich, je nach Anlass (Elberfelder Übersetzung, Einheitsübersetzung, Die Gute Nachricht).


9. Was halten Sie für die charakteristische Stärke bzw. Schwäche der Brüderbewegung? Anders gefragt: Welche Impulse/Anstöße gingen oder gehen von der Brüderbewegung aus? Welche Impulse/Anstöße würden ihr vielleicht gut tun?

Stärke: Ihr wichtigster Beitrag besteht u.a. darin, dass sie immer wieder nach der Einheit der Gemeinde und ihrer praktischen Realisierung fragt.

Schwäche: Sehr oft existieren z.B. informelle Leitungsstrukturen, die aber schwer greifbar sind. Problematisch ist oft auch die Abgrenzung von anderen Kirchen in Teilen der Brüderbewegung (besonders bei den „geschlossenen Brüdern“).

Anstöße: Der Brüderbewegung insgesamt ist mehr Offenheit zu wünschen; so sollte sie sich stärker der wissenschaftlichen Theologie öffnen (hier wäre an den inzwischen verstorbenen Theologen F.F. Bruce zu denken, der der Brüderbewegung angehörte). Diese Öffnung gab es schon einmal in der sog. „Stündchenbewegung“ (v.a. Hans Becker).


10. Was verbindet Sie persönlich mit der Brüderbewegung?

Zum einen die eigene Biografie, zum anderen ein besonderes kirchengeschichtliches Interesse.


11. Gibt es Themen oder Aspekte, die Ihrer Meinung nach in Kreisen der Brüderbewegung weniger (vielleicht zu wenig) beachtet werden? Welche stehen besonders im Vordergrund (oder werden sogar überbetont)?

Oft legt man großen Wert darauf, dass Brüdergemeinden keinen Pastor haben. Die Brüderbewegung sollte sich aber dem Gedanken öffnen, dass in vielen Bereichen der Gemeinde ein hauptamtlicher Mitarbeiter benötigt wird. Man wird sich deshalb mit der Frage auseinander setzen müssen, wie die Existenz von Hauptamtlichen in einer Gemeinde mit dem Gedankengut der „Brüder“ (Ablehnung eines besonderes geistlichen Standes, Wertschätzung des allgemeinen Priestertums u.a.) in Einklang zu bringen ist.


12. Welche Chancen und Gefahren sehen Sie in Zukunft auf die Brüderbewegung zukommen?

Wenn Brüdergemeinden sich nicht „abkapseln“, haben sie auch heute noch die Möglichkeit, ihre Anliegen (besonders die Frage nach der rechten Gemeinde) in das zwischenkirchliche Gespräch einzubringen. Das wäre ihre Chance.


Veröffentlichungen von Andreas Liese:

„War alles ganz anders? Anmerkungen zur Geschichte der Brüderbewegung im Dritten Reich im Lichte neuerer Quellenfunde. Ein Forschungsbericht“. In: Freikirchenforschung 6 (1996), S. 120–130.

verboten – geduldet – verfolgt. Die nationalsozialistische Religionspolitik gegenüber der Brüderbewegung. Hrsg. Arbeitskreis Geschichte der Brüderbewegung. edition Wiedenest. Hammerbrücke (Jota Publikationen) 2002.

„Kleine Religionsgemeinschaften zwischen Widerstand und Anpassung: Baptisten und Brüderbewegung“. In: Selbstbehauptung und Opposition. Kirche als Ort des Widerstandes gegen staatliche Diktatur. Hrsg. von Wolfgang Benz. Perspektiven und Horizonte 1. Berlin (Metropol) 2003. S. 123–143 [hier als Download].

„Die Auseinandersetzung mit der Zeit des Nationalsozialismus in der Brüderbewegung“. In: Freikirchenforschung 15 (2005/06), S. 353–368.

Art. „Schönthaler, Paul“. In: „Ihr Ende schaut an ...“ Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Hrsg. von Harald Schultze und Andreas Kurschat unter Mitarbeit von Claudia Bendick. Leipzig (Evangelische Verlagsanstalt) 2006. S. 426f.

„Taufverständnisse in der Brüderbewegung“. In: Zeitschrift für Theologie und Gemeinde 12 (2007), S. 272–286.

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