Zukunft braucht Herkunft

Hartmut Jaeger (Wuppertal-Elberfeld, 18. November 2005)


Liebe Geschwister, liebe Freunde der Elberfelder Bibel!

Ein gebürtiger Wuppertaler, Kind frommer Eltern – er besuchte die Sonntagschule der Brüdergemeinde in Wuppertal-Barmen-Heckinghausen und war nebenbei auch mal Bundespräsident dieses Landes –, Johannes Rau, hat das, was mein Thema ist, so ausgedrückt: „Wenn du nicht weißt, woher du kommst, kannst du auch nicht wissen, wohin du gehst.“

Zukunft ist Herkunft – dieser testamentarische Satz zum 100. Geburtstag des Heidelberger Philosophen Hans-Georg Gadamer hat auch für unsere Jubiläumsfeier eine besondere Bedeutung.

Wir haben schon bemerkt: Unsere Gemeindebewegungen waren Bibelbewegungen. Ich darf noch einmal daran erinnern, dass sich vor gut 150 Jahren Brüder gefunden haben, die ein gemeinsames Anliegen hatten: Forschen in der Heiligen Schrift, um die erkannten Grundsätze zur Ehre Gottes zu leben. Sie waren von Anfang an der Überzeugung, dass die Urschriften der ganzen Bibel von Gott inspiriert sind. Sie hielten über die vielen Jahre unbeirrt an dem Grundsatz fest: Die Bibel enthält nicht nur Gottes Wort, sondern sie ist Gottes Wort. Wer von Ihnen die aktuelle Diskussion auf der EKD-Synode mitverfolgt hat – der hessische Kirchenpräsident hat ja nun deutlich gemacht, dass für ihn die Bibel nur noch Gottes Wort enthält –, merkt, wie wichtig dieser Grundsatz unserer Väter für unsere Zukunft ist.

So waren die Bewegungen, aus denen wir kommen, von Anfang an Bibelbewegungen. Und es ist schon etwas Besonderes, wenn eine so kleine Gruppe wie die Brüderbewegung eine eigene Bibelübersetzung herausgibt, die schon damals weit über die eigenen Gemeinden hinaus dankbar angenommen wurde: die Elberfelder Bibel. Als gebürtiger Wuppertaler – ich bin auch in Ronsdorf geboren wie mein Vorredner – freue ich mich natürlich ganz besonders, dieses Jubiläum miterleben zu dürfen.

Was unsere Herkunft ausmacht, wollen wir auch in Zukunft pflegen. So treffen sich seit Jahren Brüder der beiden Verlage R. Brockhaus und Christliche Verlagsgesellschaft Dillenburg, um diese gute Tradition fortzusetzen. Im Arbeitskreis „Elberfelder Bibel“ behalten wir die Übersetzungsprinzipien, die uns vorhin Ulrich Brockhaus vorstellte und die bei der Elberfelder Bibel schon immer angewendet wurden, auch weiter bei: Die möglichst genaue und zuverlässige Wiedergabe des Grundtextes hat Priorität. Mit diesen Grundsätzen steht auch die jüngste Überarbeitung in der Tradition der Väter.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze wird dann aber auch eine sprachliche Angleichung vorgenommen, denn wir hörten schon: Sprache verändert sich. Ich wollte u.a. das gleiche Beispiel anführen wie Ulrich Brockhaus: „Weib“ steht nicht mehr in der Elberfelder Bibel, sondern „Frau“. Statt „Festfeier halten“ sprechen wir davon, „ein Fest zu feiern“.

Wie wichtig solche sprachlichen Angleichungen sind, zeigte jüngst eine Regionalkonferenz. Das Wort „frohlocken“ hatte es einem Bruder angetan. Er meinte: Frohlocken, das sei doch „froh locken“ im Sinne von „hervorlocken“. Hätte dort gleich „freuen“ gestanden, wäre diese Auslegung – unmöglich, wie sie ist – auch nicht möglich gewesen.

So wurden viele sprachliche Angleichungen, am Duden orientiert, vorgenommen. Außerdem wird die „Version 2006“, wie ich sie einmal nennen darf, an die neue (vielleicht wird es ja auch wieder die alte) Rechtschreibung angepasst.

Ich kann nur staunen, mit welcher Akribie unsere Experten um Formulierungen gerungen haben, um z.B. mögliche Konkordanzen oder eine wörtliche Übersetzung – bei aller geforderten Verständlichkeit – beizubehalten. Der Grundsatz der Worttreue stand in der Vergangenheit und steht auch in Zukunft über der sprachlichen Eleganz. Dafür bin ich persönlich sehr dankbar. Heinrich von Siebenthal schreibt über die Elberfelder Bibel: „In ihrem traditionellen Sprachstil zwar eher kunstlos, wird sie aber zu Recht zu den philologisch-theologisch zuverlässigsten Übersetzungen gezählt.“

An dieser Stelle wollen wir als Verlage auch noch einmal besonders Dr. Ulrich Brockhaus, Dr. Bernd Brockhaus, Gerhard Jordy, Arno Hohage und Karl-Heinz Vanheiden danken, die im Moment zu dieser Bibelkommission gehören.

Und so wird in diesen Tagen eine weitere Überarbeitung abgeschlossen. Die ersten Ausgaben der neuen Elberfelder Bibel – Version 2006 – werden im Mai nächsten Jahres auf den Markt kommen, und wir wollen uns als herausgebende Verlage für eine weite Verbreitung einsetzen. Wir wollen die Elberfelder Bibel wieder in das Blickfeld unserer Gemeindeglieder und darüber hinaus vieler Christen rücken, denn sie verdient es!

Dabei sind wir uns bewusst, dass die damit zusammenhängenden Investitionen eine große Portion Idealismus – oder sprechen wir besser von Glauben – erfordern. Denn auf dem deutschen Markt konkurrieren inzwischen über 20 Übersetzungen der kompletten Bibel. Hinzu kommen die leidigen Diskussionen um den so genannten Textus receptus, die den Laien verunsichern. Aber wir sind überzeugt, dass die Elberfelder Übersetzung nicht nur über 150 Jahre einen besonderen Platz eingenommen hat, sondern auch in Zukunft einnehmen wird.

Damit leisten wir einen Beitrag, dass unsere Bewegungen weiterhin Bibelbewegungen bleiben oder auch neu werden. Denn die Bibelfrage – das ist meine ganz persönliche Überzeugung – ist für die Zukunft von Gottes Gemeinde die ganz entscheidende. Der Weg in die Zukunft braucht einen festen Untergrund. Wenn wir anfangen, Gottes Wort zu hinterfragen, sägen wir an dem Ast, auf dem wir sitzen. Wenn wir uns nicht mehr von Gottes Wort in Frage stellen lassen, sondern Gott und sein Wort in Frage stellen, werden wir in unseren Gemeinden in einen bodenlosen Liberalismus oder in eine erdrückende Gesetzlichkeit abgleiten, und beides darf nicht sein.

Unsere Aufgabe – und hier wollen wir auch an unsere Herkunft denken – ist es, eine neue, brennende Liebe zu Gottes Wort zu wecken. Dazu braucht es glaubwürdige Zeugen, die Gottes Wort lernen, leben und lehren. Zum Lernen brauchen wir eine wortgetreue Übersetzung, die es ermöglicht, am Text zu arbeiten, sodass Bibelleser auch ohne Kenntnisse der Ursprachen eine verlässliche Grundlage haben, um dogmatische Begründungen für das praktische Verhalten am Bibeltext zu erarbeiten. In diesem Zusammenhang halte ich es auch für wichtig, dass wir Anleitungen zum Bibelstudium geben.

Gemeinde hat Zukunft, wenn sie wieder Bibel liest, studiert und dann mit Überzeugung auf dieser Grundlage lebt. Vielleicht kann diese Jubiläumsveranstaltung auch dazu dienen, dass wir uns persönlich wieder vornehmen, mehr Bibel zu lesen. Ich lese seit Jahren einmal im Jahr die Bibel durch, und es hat meinem Glaubensleben viel gebracht. Ich habe mir gesagt: Du kannst nicht ständig in der Verkündigung versuchen, Menschen zu Jesus zu rufen, wenn du selbst nicht viel Bibel liest. Denn die Bibel ist das lebendige Wort, die Bibel zeigt uns Christus.

Gemeinde hat Zukunft, wenn sie wieder Bibel liest, studiert und dann mit Überzeugung auf dieser Grundlage lebt. So nehmen wir gerne die Anregung von Paulus aus 2. Timotheus 2,1.2 auf:

„Du nun, mein Kind, sei stark in der Gnade, die in Christus Jesus ist; und was du von mir in Gegenwart vieler Zeugen gehört hast, das vertraue treuen Menschen an, die tüchtig sein werden, auch andere zu lehren.“

Am Anfang einer Reformation stand immer gemeinsames Bibelstudium. Erneuerung geschieht da, wo Menschen neu nach Gottes Wort fragen und danach leben. Wir wollen unsere Herkunft nicht vergessen. Erweckung geschieht, wo Gott den Geist des Menschen durch sein Wort unter Wirkung seines Geistes wecken kann. Deshalb: Lasst uns Bibelbewegungen sein. Fest verwurzelt in Gottes Wort, werden wir den Unwettern einer religiösen Gottlosigkeit, die sich in Europa breitmacht, standhalten.

In Psalm 119,165 lesen wir:

„Großen Frieden haben die, die dein Gesetz lieben.“

Liebe zu Gottes Wort ist ein Schlüssel zu tiefem inneren Frieden in stürmischen Zeiten. Diese Liebe zu Gottes Wort macht unsere Herkunft aus, und die Liebe zu Gottes Wort ist auch unsere Zukunft. So danken wir vor allen Dingen unserem Gott, dass er uns noch gnädig ist, dass er uns auch diese Veranstaltung ermöglicht hat. Wir danken für sein Wort. Wir danken für die Elberfelder Bibel.

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