Eine Reise in die Geschichte der Elberfelder Bibel

Gerhard Jordy (Wuppertal-Elberfeld, 18. November 2005)


Eine Reise in die Geschichte der Elberfelder Bibel – das ist eine Reise in eine Zeit, die für viele wahrscheinlich recht fremd ist, wenn sie sich nicht gerade besonders für die Geschichte des 19. Jahrhunderts interessieren. Aber zumindest der Ort ist uns ganz nahe: Wir befinden uns hier nur wenige Meter von der Stelle entfernt, wo die Elberfelder Bibel entstanden ist, also auf historischem Boden. Und hoffentlich ist auch der Geist, der jene Brüder damals bewegt hat, unter uns.

Um die Mitte des 19. Jahrhunderts entstanden die klassischen Freikirchen, die wir heute kennen: die Baptisten (1834/49), die Methodisten (1849) und die Brüderbewegung (1847/53) nach angelsächsischem Vorbild, die Freien evangelischen Gemeinden (1854/74) nach dem Vorbild von staatskirchenfreien Gemeinden in der französischen Schweiz und Lyon. Wenn es heute um die Elberfelder Bibel geht, müssen wir den Blick auf die Brüderbewegung richten, an deren Anfängen um 1850 zwei bedeutende Männer stehen, ohne die es die Elberfelder Bibel nicht gegeben hätte: Julius Anton von Poseck (1816–1896), ein Jurist in Düsseldorf, der schon Ende der 1840er Jahre begonnen hatte, an der Gründung von Brüdergemeinden im Rheinland mitzuwirken, und Carl Brockhaus (1822–1899), ein ehemaliger Volksschullehrer, der 1853 im Alter von gerade einmal 30 Jahren begann, zum Motor der Brüderbewegung in Deutschland zu werden, ein begabter und unermüdlicher Evangelist. Beide Männer waren in ihren Anfängen um 1850 mit John Nelson Darby (1800–1882), einem der bedeutendsten Männer der englischen Brüderbewegung, schriftlich in Verbindung gekommen: Poseck schon in den 1840er Jahren als Übersetzer von Darbys Schriften (er sprach fließend Französisch und Englisch), Brockhaus nach seinem Ausscheiden aus dem Evangelischen Brüderverein ab 1853.

Im September 1854 kam Darby nach Deutschland, ins Wuppertal, um Poseck, der inzwischen von Düsseldorf nach Barmen umgezogen war, und Brockhaus, der in Elberfeld wohnte, und überhaupt die deutschen Brüder kennen zu lernen. Mit beiden Männern schloss Darby Freundschaft. Innerhalb des nächsten Vierteljahrhunderts (bis 1878) kam er insgesamt achtmal nach Deutschland; zweimal blieb er über sechs Monate, um an der Übersetzung der Bibel mitzuwirken – 1854/55 am Neuen Testament, 1869/70 am Alten Testament.

Der Gedanke, neben der Lutherbibel eine Neuübersetzung zumindest des Neuen Testaments anzufertigen, ist gewiss von Poseck ausgegangen. Schon 1851 hatte er einige Briefe des Neuen Testaments übersetzt und zur kritischen Durchsicht an Darby nach England gesandt. Darby hat ihn in seinem Vorhaben sicherlich bestärkt, denn er hielt nicht viel von der Lutherübersetzung. Was Genauigkeit betreffe, könne man ihr nicht trauen, sagte er, ja, er hielt sie – völlig ungerechterweise – für die schlechteste Übersetzung überhaupt. So begann Poseck 1852 mit einer eigenständigen Übersetzung, und als Darby dann zwei Jahre später nach Deutschland kam und im Wuppertal weilte, machten sich die drei Freunde gemeinsam an die Arbeit an einer neuen Übersetzung, die nun möglichst genau und wortgetreu sein sollte.

Dabei muss man bedenken, dass das 19. Jahrhundert das Zeitalter eines gewaltigen Aufbruchs der Wissenschaft war, auf allen Gebieten. Von der Wissenschaft erwartete man fast alles, alles sollte durch sie möglich und machbar sein. Auch die Christen waren von dieser Entwicklung nicht unberührt geblieben, zumal die Handschriftenkunde des Neuen Testaments in jener Zeit Triumphe feierte und die Sprachwissenschaft mit der Textkritik seit Karl Lachmann eine große Hilfe war. Wenn Leopold von Ranke, der Vater der deutschen Geschichtswissenschaft, in jener gleichen Epoche die Aufgabe des Historikers dahingehend definierte, dass er zu erforschen habe, „wie es eigentlich gewesen ist“, so hatte der eifrige Bibelleser und noch mehr der Übersetzer das Anliegen, auch im Einzelnen genau zu erfahren, „was da eigentlich zu lesen ist“. Er wollte den Text nicht für den modernen Leser mund- und ohrengerecht zubereitet haben, sondern den Text im Rahmen einer 2000–3000 Jahre alten Kultur genau kennen und verstehen.

Die drei Übersetzer brachten das im Vorwort zum Neuen Testament 1855 deutlich zum Ausdruck. Bei aller Würdigung bisheriger Übersetzungen kamen sie doch zu dem Ergebnis, dass in ihrem Jahrhundert „andern Bedürfnissen zu entsprechen“ sei. „In unsern Tagen“, sagten sie, „geht man weiter, wie ehemals. Alles wird untersucht“ – der Mensch, die Natur, die Bücher, auch die Bibel; „die Schriften werden erforscht, und – wer wollte dieses tadeln? Man will nicht nur einige, unbedingt zur Seligkeit erforderliche Wahrheiten, sondern die ganze Wahrheit und also die Gedanken und den Willen Gottes verstehen lernen“. Man sieht: Der Fortschrittsglaube des 19. Jahrhunderts im Blick auf die Wissenschaft ist auch bei unseren frommen Männern zu finden.

Aber noch ein anderes Motiv müssen wir gerechterweise sehen: Die Gläubigen jener Generation hatten eine große Ehrfurcht vor der Heiligen Schrift, eine tiefe Liebe zum Wort Gottes. Sie rangen darum, es genau zu verstehen. Gerade die Brüderbewegung ist insofern von Anfang an eine Bibelbewegung gewesen. Die ausgeprägte Bibelkenntnis der „Brüder“ (leider wird sie langsam zur Legende) war in den Kreisen der Gläubigen bekannt. Wenn sie genau wissen wollten, „was da eigentlich zu lesen ist“, dann war ihnen bewusst, dass es da ja um die Hinweise, Gedanken und Offenbarungen des lebendigen Gottes und Vaters Jesu Christi ging. Wer die Bibel als unumstößliche Autorität anerkannte, wollte auch genauestens wissen, was Gott den Menschen sagen wollte.

Wer waren nun die drei Männer, die den Mut hatten, im Herbst 1854 neben dem Riesen Luther eine neue, möglichst wortgetreue Übersetzung zu erstellen?

Der Erste: John Nelson Darby, Jahrgang 1800, damals also 54 Jahre alt, ein Mann der englischen Oberschicht, Patenkind des Seehelden Nelson (dessen 200. Todestag und gleichzeitiger Seesieg bei Trafalgar in diesem Jahr in Großbritannien groß gefeiert worden ist). Finanziell völlig unabhängig, musste er keiner Brotarbeit nachgehen und konnte sich weltweit der Ausbreitung der Brüderbewegung widmen. Er war Jurist und Theologe, in der Kenntnis der alten Sprachen schon früh ausgezeichnet worden, überhaupt außergewöhnlich sprachbegabt; er war in der Lage, schnell eine fremde Sprache zu erlernen. Er übersetzte die Bibel aus dem Grundtext nicht nur ins Englische, sondern auch ins Französische und z.T. ins Italienische und machte sich nun an die Übersetzung ins Deutsche.

Der Zweite: Julius Anton von Poseck, 16 Jahre jünger als Darby, aus altem Adel, also ebenfalls der Oberschicht angehörend, ebenfalls finanziell unabhängig, sodass er nach vollendetem Rechtsstudium die Laufbahn eines Juristen ausschlagen konnte, um sich nach seiner Bekehrung der Ausbreitung der Brüderbewegung im Rheinland zu widmen, wozu er auch die Schriften Darbys übersetzte. Auch er war in den alten Sprachen sehr gut beschlagen: Ob an der Schule oder an der Berliner Universität, immer wurden ihm Begabung und Fleiß bescheinigt. In Berlin studierte er auch bei dem großen Philologen Karl Lachmann (1793–1851), dem Begründer der textkritischen Methode, der schon 1831 einen von ältesten Handschriften ausgehenden Text des Neuen Testaments erstellt hatte. Das alles kam Poseck bei der jetzigen Arbeit zugute.

Der Dritte: Carl Brockhaus, 22 Jahre jünger als Darby, aus einer völlig anderen Gesellschaftsschicht als seine beiden Freunde, aus kleinbürgerlichen Verhältnissen, zuerst Volksschullehrer, dann im Evangelischen Brüderverein Geschäftsführer und Reisebruder. Der Evangelische Brüderverein hatte nichts mit der Brüderbewegung zu tun; er war eine allianzmäßig strukturierte evangelistische Arbeitsgemeinschaft, die es sich zur Aufgabe gesetzt hatte, die der Kirche und dem Glauben entfremdete Arbeiterbevölkerung wieder zur Kirche und zum Glauben zurückzuführen. Brockhaus war dort im Dezember 1852 ausgetreten, um sich ganz der Brüderbewegung zu widmen. Von 1853 an wohnte er hier ganz in der Nähe und unterstützte die Ausbreitung der Brüderbewegung u.a. mit seiner Zeitschrift und mit vielen Schriften, die aus dem Englischen und Französischen übersetzt wurden. Übersetzt hat sie immer Poseck, denn Brockhaus war der fremden Sprachen zuerst unkundig. Er hatte zwar als junger Lehrer in Breckerfeld bei einem Pfarrer Griechischunterricht gehabt, musste sich aber vieles mühsam im Selbststudium aneignen und war für die neue Übersetzung auf seine beiden Freunde angewiesen. Sein philologischer wie auch sein finanzieller, wirtschaftlicher Mut, eine neue Bibelübersetzung zu verlegen, sind gleichermaßen bewundernswert.

Die drei Übersetzer hatten gegenüber Luther den Vorteil, beim Neuen Testament auf bessere Textvorlagen zurückgreifen zu können, als es Luther möglich war. Luther konnte 1522 nur den von Erasmus von Rotterdam erstellten griechischen Text des Neuen Testaments benutzen, den Erasmus aufgrund von ziemlich späten (12./13. Jh.), von der Griechisch-Orthodoxen Kirche überlieferten Manuskripten zusammengestellt hatte. Dieser Text war für ca. 300 Jahre als „Textus Receptus“ (d.h. angenommener, akzeptierter Text) maßgebend für Übersetzungen. Inzwischen waren nun aber weit ältere Texte entdeckt worden, und die vergleichende Textkritik war durch Lachmann zur gängigen Methode geworden, sodass die drei Übersetzer den Textus Receptus nur noch dann heranziehen mussten, wenn sich die neuerdings gängigen Textvorlagen nicht einig waren. Wörtlich heißt es im Vorwort: „Wir haben keinen Grund gefunden, den Lesern die Uebersetzung eines unvollkommenen, auf wenig bekannten Manuscripten gegründeten Textes, anstatt eines solchen zu geben, welchen die mühevolle Sorge der Nachsuchung in möglichster Genauigkeit gebildet hat und der daher der Vollkommenheit am nächsten liegt.“

Die Phasen der Übersetzung haben wir schon erwähnt: 1854/55 das Neue Testament, 1869/70 das Alte Testament, sodass 1871 die ganze Elberfelder Bibel erscheinen konnte. In der zweiten Phase, beim Alten Testament, wurde Poseck durch den Holländer Hermanus Cornelis Voorhoeve (1837–1901) ersetzt, der altsprachliche Bildung besaß und später auch eine holländische Übersetzung des Neuen Testaments herausbrachte. Nebenbei: Poseck wurde nicht abgesetzt, sondern er war auf Anraten Darbys 1856 nach England verzogen, denn Darby hatte bemerkt, dass dieser hochgebildete Adlige nicht in die kleinbürgerlich strukturierte deutsche Brüderbewegung hineinpasste, wo ein Universitätsstudium schon verdächtig war und der Akademiker durch seine „Besserwisserei“ – ich meine das im besten Sinne – Anstoß erregte. Daher ein neuer Helfer beim Alten Testament.

Das Ziel war also Worttreue. Schon im Vorwort von 1855 hatten die Übersetzer bemerkt, dass sie „mit den vorhandenen [Übersetzungen] nicht zufrieden“ seien, und sie stellten fest: „Während nun der Gelehrte dasselbe [das Wort Gottes] im Urtexte [gemeint ist der Grundtext] untersuchen kann, ist den Nichtgelehrten und des Urtextes Unkundigen dazu dieser Weg versperrt.“ Ziel war daher „eine möglichst treu[e] und genaue Darstellung des Wortes Gottes“ in der deutschen Sprache.

Die Hauptlast (beim Neuen Testament) lag dabei ohne Zweifel bei Poseck, der als Einziger als ausgebildeter Altphilologe auch zugleich Deutscher war, während man bei Darby bei aller Bewunderung seiner großartigen philologischen Fähigkeiten alten and neuen Sprachen gegenüber doch bedenken muss, dass Deutsch nicht seine Muttersprache war. Poseck musste ihn oft darauf aufmerksam machen, dass die von ihm vorgeschlagene Übersetzung zwar richtig, aber kein geläufiges Deutsch war. Dennoch setzte sich Darby in vielem durch, was in der zweiten Auflage dann wieder zurückgenommen werden musste.

Dass Darby sich zunächst durchsetzte, lag aber wohl auch an dem Altersvorsprung von 16 bzw. 22 Jahren, den er vor seinen Mitarbeitern hatte (Voorhoeve war sogar 37 Jahre jünger als er). Besonders die griechischen Partizipialsätze kamen seinem Englisch entgegen, was er dann im Deutschen durchzusetzen suchte. Das 1. Kapitel des Epheserbriefes ist bis zum revidierten Text von 1975 ein Musterbeispiel dafür gewesen: In 21 Versen gab es nur zwei grammatisch getrennte Sätze, in denen ein abhängiger Nebensatz an den anderen gereiht wurde. Allerdings stand man damit – wir hörten es eben schon von Bruder Strauch – dem griechischen Text so nahe, dass man sich darauf verlassen und sogar aus dem Deutschen ins Griechische zurückübersetzen konnte. Ich habe das 1951 in meinem Studium selbst erlebt. Man musste damals an der Kirchlichen Hochschule Berlin an einem Kursus „Kursorische Lektüre des griechischen Neuen Testaments“ teilnehmen, wo die Studenten das Neue Testament aus dem Griechischen ins Deutsche zu übersetzen hatten. Ich war der einzige Freikirchler unter lauter landeskirchlichen Studenten, die alle von Luther herkamen, und sie übersetzten auch wie Luther. Der Professor sagte dann jedes Mal: „Das ist Luther! Ich möchte eine Übersetzung hören!“ – woraus man sehen kann, wie auch in diesen Kreisen die Lutherübersetzung eingestuft wurde. Sie staunten dann, wenn ich, von der Elberfelder Bibel herkommend, zur Zufriedenheit des Lehrers übersetzen konnte, und bald wurde ich dann für viele Studienkameraden sozusagen zum Kolporteur des Elberfelder Neuen Testaments.

Auch das Wort „Versammlung“ setzte Darby durch, sowohl im Englischen (assembly) als auch im Französischen (assemblée). Er liebte dieses Wort, weil es die Grundbedeutung des griechischen Wortes ekklesía wiedergibt; er wollte Verständnis dafür wecken, was es im Grunde bedeutete, und diese Bedeutung auch auf die Gemeinde angewandt wissen.

Das von den Übersetzern verwendete Wort „Jehova“ wird heute oft kritisiert (mit Recht), weil es besser „Jahwe“ heißen sollte, aber man muss bedenken, dass „Jehova“ damals überall ein gängiger Ausdruck war, auch in der Literatur; man denke nur an Klopstocks „Frühlingsfeier“, wo „Jehova“ mehrmals genannt wird, weil dieser Ausdruck das Gefühl des Menschen besonders ansprach.

Konnte man beim besten Willen nicht wirklich wortgetreu sein, wurde der wörtliche Text in einer Fußnote vermerkt, abweichende Lesarten (z.B. der Textus Receptus) wurden in einem Lesarten-Apparat am Ende der Bibel angegeben. Hier wurde der Bibelleser also wirklich ernst genommen und auf die Schwierigkeiten und Mehrdeutigkeiten im Grundtext hingewiesen. Das war im Grunde bis dahin einmalig.

Dass der flüssige Stil, ein schönes Deutsch – wie es bei Luther oft zu finden ist –, unter dem Bemühen um Worttreue litt, lässt sich denken, aber fast nie wurde die Genauigkeit dem schönen Stil geopfert; stilistische Härten wurden und werden auch bei der revidierten Übersetzung in Kauf genommen. Missgünstige mögen es Holprigkeiten nennen. Ich nenne einige Beispiele für Worttreue:

Wir kennen alle den bekannten Vers aus Psalm 90,10: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn’s hoch kommt, so sind’s achtzig Jahre, und wenn’s köstlich gewesen ist, so ist es Mühe und Arbeit gewesen“ (Luther). Dieser Satz spricht so richtig das deutsche Arbeitsethos an: Wenn man fleißig war und gearbeitet hat, war es ein erfülltes und köstliches Leben. Das ist schön, nur steht es so nicht im Text. „Die Tage unserer Jahre, ihrer sind siebzig Jahre, und, wenn in Kraft, achtzig Jahre, und ihr Stolz ist Mühsal und Nichtigkeit“ (Elberfelder). Das ist etwas ganz anderes; da kommt der Fluch aus 1. Mose 3 hinein: Dornen und Disteln soll dir der Acker bescheren, im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen, mit Schmerzen sollst du Kinder gebären. Alles das liegt in diesem Satz, dass das Leben des Menschen – zunächst einmal des natürlichen Menschen ohne Gott – Nichtigkeit ist.

Oder nehmen wir Psalm 23,5: „Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein“ (Luther). Wörtlich übersetzt heißt der letzte Satz: „mein Becher fließt über.“ Da merken wir, wie der Reichtum Gottes, der im Überfluss zu geben bereit ist und auch gibt, zum Ausdruck kommt.

Noch ein Beispiel aus dem Neuen Testament, der berühmte Engelchor in Lukas 2,14: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen.“ Diese Dreiteilung stammt aus der Lutherbibel; im Grundtext hat der Text nur eine Zweiteilung: „Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden in (oder unter) den Menschen des (d.h. seines) Wohlgefallens!“ Auch die Lutherbibel hat das inzwischen revidiert, aber man hört noch immer diese alte Dreiteilung; sie hat sich fest ins Gedächtnis eingeprägt. Und doch ist sie grundfalsch, weil sie nicht zeigt, dass es nur um den Frieden mit Gott geht. Frieden mit Gott haben nur die Menschen, an denen Gott Wohlgefallen hat, und Wohlgefallen hat Gott nur an den Menschen, die Jesus Christus als Heiland und Herrn angenommen haben, so wie er zunächst einmal nur an dem Einen, seinem Sohn, Wohlgefallen hatte.

Auch wenn Luther den Text theologisch etwas verbogen hatte, wurde dies herausgenommen. In 2. Korinther 3,16 geht es um Israel; Israel hat eine Decke auf den Augen, schreibt Paulus und sagt dann: „Wenn es aber zum Herrn umkehren wird, so wird die Decke weggenommen.“ Luther, der ja der Meinung war, dass Israel längst beiseite gesetzt sei und nie mehr von Gott beachtet werde, dass vielmehr die Kirche Jesu Christi das neue Israel sei, hat einfach etwas übersetzt, was nicht dasteht: „Wenn es aber sich bekehrte zu dem Herrn, so würde die Decke abgetan.“ Sie wird natürlich nicht weggenommen werden, meinte er, denn Israel ist verworfen. Solche Fehler konnten in der Elberfelder Bibel ausgemerzt werden.

Immerhin urteilte Darby am Schluss der Arbeit am Neuen Testament: „Zufrieden bin ich nicht ... aber ich glaube, wir haben an ihr die beste und treueste Übersetzung, die wir besitzen.“

Es war im Ganzen eine mühevolle Arbeit, gerade auch am Alten Testament. „Wie froh werden wir alle sein“, schreibt Carl Brockhaus 1870, „wenn einmal das Werk vollendet ist! ... Es will uns oft die Ungeduld beschleichen, allein das Bewußtsein, daß wir es mit dem Worte Gottes zu tun haben und es für viele teure Kinder Gottes zum Segen sein wird, gibt uns immer wieder Mut und Ausharren.“

Dabei war man sich bewusst, nicht das Nonplusultra einer Übersetzung geschaffen zu haben. „Wir maßen uns nicht an“, schreiben die Übersetzer im Vorwort zum Alten Testament, „den Urtext bezüglich solcher Stellen, wo so viele tüchtige Kenner der hebräischen Sprache geirrt haben und über die immer noch Meinungsverschiedenheiten herrschen, ohne Fehler wiedergegeben zu haben“. Tatsächlich mussten bei den nächsten Auflagen Verbesserungen vorgenommen werden, deren sich Carl Brockhaus’ Sohn Rudolf (1856–1932) annahm. Am Alten Testament half ihm der Philologe Alfred Rochat (1833–1910), ein Schweizer, der schon in seiner Jugend die Brüderbewegung kennen gelernt hatte und in Stuttgart wohnte. Am Neuen Testament arbeitete der Philologe Dr. Emil Dönges (1853–1923) mit, der neben Rudolf Brockhaus ein führender Mann in der zweiten Generation der deutschen Brüderbewegung war.

Die Elberfelder Bibel hat auch den Sprachstil in den deutschen Brüderversammlungen geprägt. Schon an der Wortwahl konnte man in einer Gemeinde erkennen, wo man sich befand. Dennoch fand die Elberfelder Übersetzung – das hörten wir auch schon von Bruder Strauch – über den Kreis der Brüdergemeinden hinaus weite Verbreitung und wurde in Gemeinschaftskreisen gern angenommen. Auch wenn man die Lutherübersetzung nicht aufgab – als zweite, wortgetreue Übersetzung wurde sie gern benutzt. Andererseits wurde sie, besonders in landeskirchlichen Kreisen, als „Dilettanten-Machwerk“ und „Sektenbibel“ verunglimpft. Aber gerade Fachleute anerkannten ihre Qualitäten. Hermann Menge, der 1926 selbst eine Bibelübersetzung herausgab, schrieb 1920 an Rudolf Brockhaus: „Mit Ihrer ‚Elberfelder Bibel‘ bin ich seit vielen Jahren bekannt, und zwar in der Weise, daß es in Deutschland gewiß nicht viele Personen gibt, die das Buch genauer kennen und höher schätzen als ich ... Das Alte Testament ist für unser Volk seit Luthers Tagen nirgend besser verdeutscht worden als in Ihrer Bibelausgabe, und der Segen, den die Elberfelder Bibel gestiftet hat, kann nicht leicht zu hoch angeschlagen werden“.

Um 1960, also etwa 100 Jahre nach dem Erscheinen des Neuen Testaments, wurde die Notwendigkeit einer gründlichen Revision als dringlich gesehen. Sie wurde von 1960 bis 1992 unter drei Grundsätzen durchgeführt:

  1. möglichst genaue Wiedergabe des Grundtextes nach den neuesten Erkenntnissen der Handschriftenkunde;
  2. Modernisierung der Sprache bei Vermeidung altertümlicher Ausdrücke;
  3. Korrektur von mittlerweile festgestellten Fehlern.

Hatten die Bibelleser des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts sehr oft das Anliegen, eine möglichst wortgetreue Übersetzung zur Verfügung zu haben, selbst wenn einem sonst die Lutherbibel noch lieb war, so hat sich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Nachfrage nach einer leicht lesbaren Bibel in moderner Sprache, wenn nicht Umgangssprache gezeigt, wie es eben einer Wohlfühl- und Spaßgesellschaft entspricht. Hier sehen wir die grundsätzliche Übersetzungsfrage bei der Bibel umrissen: Entweder bringe ich die Bibel dem Leser nahe, indem ich sie ihm mund- und ohrengerecht serviere, wie eben auch schon Luther dem Volk „aufs Maul geschaut“ hat, oder ich versuche den Leser an die Bibel heranzuführen, indem ich ihm durch eine möglichst wortgetreue Übersetzung den Reichtum des Wortes Gottes im Einzelnen seiner Aussagen verdeutliche.

Entscheidend wird dabei sein, dass ich die Bibel nicht missbrauche – entweder zur Erlangung angenehmer Gefühle, ob nun durch anheimelnde Sprache oder durch modernistischen Jargon, oder als Waffe, um in der theologischen Diskussion unbedingt Recht zu behalten. Nein, entscheidend wird immer sein, wie lieb mir das Wort dessen ist, der mich mehr liebt, als mich je ein Mensch lieben kann; entscheidend wird immer sein, dass es meine größte Freude ist, dass der, der mich für seine ewige Herrlichkeit erlöst hat, in der Bibel zu mir persönlich reden will. Wenn das der Fall ist, hat jede Bibelübersetzung, auch die Elberfelder, ihr Ziel erreicht.

Lassen Sie mich schließen mit einem Wort, mit dem uns Dr. Hans-Peter Willi, der 1981–85 an der Revision der Elberfelder Bibel mitgewirkt hat, heute aber nicht kommen konnte, zu diesem Anlass gegrüßt hat:

„Wer auf das Wort achtet, findet Glück, und glücklich ist, der dem Herrn (dem Wort des Herrn) vertraut“ (Sprüche 16,20).

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