Gladbecker Gespräche

Hintergrund

Da der „Freie Brüderkreis“, der sich einige Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg konstituierte, grundsätzlich die Haltung des „offenen“ Brüdertums vertritt, stößt er seitens der „geschlossenen Brüder“ auf starke Vorbehalte. Anfang der 1990er Jahre erläuterte z.B. eine als Typoskript verbreitete Broschüre, die die „offizielle Linie“ der „geschlossenen Brüder“ wiedergibt, dass weiterhin jegliche Zusammenarbeit unmöglich sei. Die Geschwister im „Freien Brüderkreis“ seien zwar „diejenigen, die uns lehrmäßig und historisch gesehen, am nächsten stehen. Auch äußerlich besteht große Ähnlichkeit“; dennoch sei festzuhalten, dass „die Liebe zu unserem gemeinsamen Herrn und der Gehorsam gegenüber Seinem Wort es uns nicht erlaubt, praktische Gemeinschaft am Tisch des Herrn und in der Zusammenarbeit in Seinem Werk“ zu haben.

Da die niederländischen „geschlossenen“ Versammlungen aber mit den Versammlungen des „Freien Brüderkreises“ in vieler Hinsicht mehr Gemeinsamkeiten hatten als mit den deutschen „geschlossenen Versammlungen“ und in Deutschland ohnehin verschiedene Spannungen innerhalb der „geschlossenen Brüder“ an Brisanz gewannen und bei manchen zu neuem Nachdenken führten, nahmen einige „progressive“ Brüder der „geschlossenen Versammlungen“ aus Deutschland und den Niederlanden Anfang der 1990er Jahre Kontaktgespräche mit „Freien Brüdern“ auf. Nach dem Tagungsort wurden diese unter dem Namen „Gladbecker Gespräche“ bekannt. Bereits bei den als Vorläufer dieser Gespräche anzusehenden „Gevelsberger Gebetstreffen“ von Brüdern des „Freien Brüderkreises“ und der „alten Versammlungen“ (zunächst im Wesentlichen von Vertretern aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis) ging es darum, die langjährigen Barrieren zwischen den beiden Brüdergruppen aufzuweichen und neu zu beginnen, brüderliche Gemeinschaft zu pflegen. Während diese Gebetstreffen noch eher im privaten Rahmen stattfanden, gelang es mit den Gladbecker Gesprächen erstmals, Verbindendes und Trennendes in größerem Rahmen zu besprechen. Ziel der Beteiligten war es, „die Sprachlosigkeit zwischen Brüdern der sogenannten ‚Alten Versammlung‘ und den ‚bundesfreien Brüdern‘ zu überwinden und Feindbilder abzubauen“, „einander kennenzulernen, miteinander zu reden und Vertrauen zu gewinnen“.


Inhalt der Gespräche

Das erste Gespräch

Nach informellen Vorgesprächen im Mai 1992 lud Hans-Jochen Timmerbeil in Abstimmung mit den Brüdern des „Gevelsberger Gebetstreffens“ und Brüdern aus den Niederlanden zu einem ersten Treffen in größerem Rahmen ein. Dieses fand am 5. Dezember 1992 mit mehr als 50 Brüdern im Wasserschloss Wittringen in Gladbeck statt.

Dieter Boddenberg („Freier Brüderkreis“) stellte in einem Referat dar, dass das gegenwärtige Verhältnis zwischen den beiden Gruppen „ungeistlich“ und „nicht gottgewollt“ sei. Die „Einheit des Geistes“ sei nicht bewahrt worden; es sei notwendig, wieder „echte geistliche Gemeinschaft miteinander“ zu haben. Willem J. Ouweneel (damals noch aus dem Kreis der „geschlossenen Brüder“) beleuchtete in einer selbstkritischen Bestandsaufnahme Einseitigkeiten und Folgen der komplizierten „Versammlungstheologie“, die seiner Auffassung nach nur von wenigen voll und ganz verstanden werde, die „dadurch eine gewaltige Macht über die Geschwister ausüben“. Die „Brüdertheologie“ habe teilweise den Zugang zur Bibel „zugemauert“; gerade angesichts daraus resultierender rigider und ungeistlicher Regelungen rief er auf, „zurück zur Schrift“ zu gehen.

Die Veröffentlichung der ersten Gladbecker Gespräche finden Sie hier als Download [29 Seiten, 199 KB].


Das zweite Gespräch

Die gemeinsamen Gespräche wurden am 10. Juni 1993 mit einem erweiterten Teilnehmerkreis (ungefähr 120 Teilnehmer), u.a. mit zwei Referaten zum Thema „Gemeinschaft“, fortgesetzt.

Friedrich-Wilhelm Dürholt („Freier Brüderkreis“) diagnostizierte, dass „wir oft unsere Meinung über Gemeinschaft mehr gepflegt haben als die Gemeinschaft selbst“. Er sprach die Hoffnung aus, dass „noch nicht vernarbte Wunden“ durch die Treffen „ein klein wenig mehr heilen könnten“. Henk P. Medema (von den niederländischen „geschlossenen Brüdern“) äußerte in Anspielung auf ein Gedicht Schillers den Wunsch, dass „alle Brüder Menschen werden“, und identifizierte Anhaltspunkte für Grenzen und Möglichkeiten der Gemeinschaft.

Die Veröffentlichung der zweiten Gladbecker Gespräche finden Sie hier als Download [27 Seiten, 187 KB].


Das dritte Gespräch

Bei einem dritten und letzten Treffen am 18. Dezember 1993 (wiederum mit über hundert Teilnehmern) entwickelte Karl Otto Herhaus Gedanken zur damaligen Lage der „alten Versammlung“. Er arbeitete heraus, dass ein „Grundkonflikt im Kern der theologischen Lehre“ Spaltungen innerhalb der Brüderbewegung „außerordentlich begünstigt“. Die beiden Begriffe „Einheit der Gläubigen“ und „Absonderung vom Bösen“ wirkten wie die Pole eines Magnetfeldes: „der eine Teil der Geschwister wurde mehr von diesem, der andere mehr von jenem angezogen, und ähnlich wie bei einem Magnetfeld war und ist es nur sehr schwer möglich, einen Weg zwischen beiden Polen hindurch zu finden.“

Die Veröffentlichung der dritten Gladbecker Gespräche finden Sie hier als Download [19 Seiten, 135 KB].

Nach diesen drei Treffen wurden die Gladbecker Gespräche nicht weiter fortgeführt. In kleinerem Rahmen fanden aber u.a. noch 2001 und 2003 übergreifende Treffen in Schwelm statt.


Folgen der Gespräche

Da die Vertreter beider Gruppen in keiner Weise „offizielle Repräsentanten“ ihrer jeweiligen Herkunftsgruppe darstellten, war von Anfang an die Hoffnung auf eine rasche Wiedervereinigung illusorisch. Gerhard Jordys Einschätzung der Gladbecker Gespräche, „im positiven Fall könnte eine Spaltung bei den ‚Geschlossenen Brüdern‘ eintreten“, sollte sich Mitte der 90er Jahre bewahrheiten. Die meisten der „geschlossenen Brüder“, die an diesen Gesprächen beteiligt waren, schlossen sich ab 1995, als innerhalb der „alten Versammlung“ latent vorhandene Spannungen eskalierten, sog. „blockfreien Gemeinden“ (sie nennen sich selbst auch „neue Versammlungen“) an. Die zu diesem Zeitpunkt entstandenen Spaltungen wurden zwar nicht durch die Gladbecker Gespräche verursacht, doch wirkten diese Treffen durchaus als Katalysator. Viele der neu entstandenen „blockfreien Gemeinden“ haben sich im Sinn der Gladbecker Gespräche rasch zu den „Freien Brüdern“ hin geöffnet und genießen u.a. mit diesen ungehinderte wechselseitige Gemeinschaft.

Die „geschlossenen Brüder“ halten weiter an einer strikten Abgrenzung zu den „Freien Brüdern“ und seit den Trennungen Mitte der 1990er Jahre auch zu den „blockfreien Gemeinden“ fest.


Literaturhinweise

Am Rande finden die Gladbecker Gespräche Erwähnung in folgenden Publikationen:

Gerhard Jordy: Einheit der Gemeinde Jesu – ihre Bedrohung und ihr Zerfall in der Geschichte, Wiedenest (Missionshaus Bibelschule Wiedenest) 1995, S. 22.

Jürgen Tibusek: Ein Glaube, viele Kirchen. Die christlichen Religionsgemeinschaften – Wer sie sind und was sie glauben, Gießen (Brunnen) 1994, S. 329f.

Jürgen Tibusek: „... und was glaubst Du? Eine Einführung in die christlichen Konfessionen (16). Die Brüderbewegung“, in: Neues Leben 43 (1998), Heft 1, S. 29.

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