Rezension


Horst Afflerbach:
Die heilsgeschichtliche Theologie Erich Sauers
Systematisch-Theologische Monographien 16
Wuppertal (R. Brockhaus) 2006
543 Seiten. ISBN 3-417-29498-3. € 19,90


Es ist dem Autor sehr zu danken, dass er einen evangelikalen Theologen und sein Werk der drohenden Vergessenheit entrissen hat, der in den Jahren vor und nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur in den Brüdergemeinden, sondern auch in den frei- und landeskirchlichen Gemeinschaften viel gelesen und sehr geschätzt und durch Übersetzungen in zahlreiche Sprachen auch international bekannt wurde. Erich Sauers heilsgeschichtliches Werk ist es in der Tat wert, für unsere Zeit neu gewürdigt und, wenn nötig, kritisch beleuchtet zu werden.

Diese nicht unkritische Würdigung hat Horst Afflerbach mit umfassender Sachkompetenz und bewundernswerter Akribie vorgenommen und damit ein zwar umfangreiches, aber lesenswertes Buch vorgelegt, das den Leser mit der Notwendigkeit und Problematik heilsgeschichtlicher Theologie vertraut macht.

Der Autor geht von Sauers Lebenslauf (1898-1959) aus, den er sorgfältig und ausführlich recherchiert hat, war doch die geistige und geistliche Prägung des jungen Berliners durch die freie Christliche Gemeinschaft in der Berliner Hohenstaufenstraße und durch die 1905 am gleichen Ort gegründete Allianz-Bibelschule von großer Bedeutung für Erich Sauers weiteres Leben: Bekehrung, Schriftprinzip, Überkonfessionalität, Offenes Brüdertum, missionarischer Auftrag. Von der Berliner Universität, wo er drei Jahre Theologie, Geschichte und Philologie studiert hatte, 1920 an die Bibelschule in Wiedenest berufen, wurde hier die Bibel als die Offenbarungsgeschichte Gottes mit dem Ziel eines umfassenden Heils für Mensch und Schöpfung zu Sauers Lebensthema. Es bestimmte sein Leben weithin als Lehrer, Autor und Verkündiger, und von daher wurde ihm auch der missionarische Auftrag der Gemeinde zur unausweichlichen Verpflichtung, was 1952 zur Gründung des Missionshauses Wiedenest führte. In Wiedenest verfasste er die Bücher seines heilsgeschichtlichen Gesamtwerks (Zweck und Ziel der Menschenschöpfung / Das Morgenrot der Welterlösung / Der Triumph des Gekreuzigten) mit späteren Erweiterungen (Der König der Erde) und Ergänzungen (Der göttliche Erlösungsplan von Ewigkeit zu Ewigkeit).

Mit diesem Gesamtwerk setzt sich der Autor auseinander, wobei er noch viele kleinere gedruckte und ungedruckte Quellen hinzuzieht. Auch betrachtet er die heilsgeschichtliche Theologie Sauers nicht separat für sich, sondern stellt sie in den Rahmen der verschiedenen theologischen Richtungen, der ablehnenden wie der ähnlichen oder gar zustimmenden, um zu einem abgewogenen und für uns beachtenswerten Ergebnis zu kommen. Denn in zweierlei Hinsicht ist es geboten, Sauers Werk neu in das Gesichtsfeld der Gemeinde zu rücken.

Erstens, weil die Schultheologie des 20. Jahrhunderts Sauers Arbeit nie wahrgenommen hat, wie sie schon im 19. Jahrhundert die heilsgeschichtliche Theologie weniger Außenseiter stets abgelehnt hatte. Dies hat seine Gründe: Die Bibel als göttliche Offenbarung einer Geschichte Gottes mit den Menschen zu deren eigenem Heil zu verstehen und dies anhand des Wortes Gottes durch die Jahrtausende der Weltgeschichte zu verfolgen, ist nur dem wiedergeborenen und durch den Heiligen Geist bestimmten Gläubigen möglich. Wo aber die Bibel wie durch die historisch-kritische Theologie nur als historische Quelle wie jede andere benutzt wird, kann es nur zu einer wissenschaftlichen Einsicht in die Vergangenheit und einer daraus resultierenden u.U. religiösen Lebenshilfe für die Gegenwart kommen, während Gottes Handeln in der Geschichte und gar in der Zukunft, wie es die biblische Prophetie andeutet, als wissenschaftlich nicht erkennbar abgetan wird. Für Sauer aber waren wissenschaftliches Erkennen und gläubiges Vertrauen auf die Wahrheit des Wortes Gottes kein Widerspruch. Diesem säkularisierenden Trend gegenüber der Bibel, der heute bis in den freikirchlichen Raum hineinreicht, sollte mit Sauers Verständnis der Bibel entgegengetreten werden: als einer Offenbarungseinheit heilsgeschichtlichen Geschehens, in dem Jesus Christus ebenso Schöpfer der Welt wie Mittler und Vollender des ewigen Heils ist. „Diese offenbarungsgeschichtliche Linie nachzuvollziehen, ist nach Sauers Auffassung eine Notwendigkeit biblisch verantworteter Theologie“, schreibt der Autor, denn die biblische Theologie könne auf eine heilsgeschichtliche Orientierung nicht verzichten.

Andererseits hat das Werk Sauers in unserem individualistischen, oberflächlichen Zeitalter auch dem einzelnen Gläubigen für sein Glaubensleben etwas zu sagen. Dem, der sich mit seinem durch das Opfer Jesu Christi geschenkten Heil begnügt und für den die Bibel dann nur noch eine Sammlung frommer Sprüche ist, die seinen Glauben unterstützen, dem erwidert Sauer, dass das Wort Gottes wahrhaft nur als Offenbarungsgeschichte eines gewaltigen Heilsgeschehens begriffen und von da her das Kreuz von Golgatha erst richtig gewürdigt werden kann. Wie das Alte Testament mit seinen verschiedenen Bundesverheißungen und Prophetien auf das Kreuz Christi und auf die Vollendung der Weltgeschichte zielt, wie es vom Christusgeschehen des Neuen Testaments her als Verheißung des göttlichen Heils für Mensch und Schöpfung beleuchtet wird, wie Israel und Gemeinde jeweils ihren Platz in einer Jahrtausende währenden Heilsgeschichte finden und wie diese über die Wiederkunft Christi, über Entrückung und Tausendjähriges Reich ihrer Vollendung entgegendrängt, zu einem neuen Himmel und einer neuen Erde – das alles ist eben nur unter Beachtung heilsgeschichtlicher Kriterien zu verstehen.

Von der Erkenntnis über ihren eigenen Stellenwert in diesem Geschehen kommt die Gemeinde auch zum Verständnis der Notwendigkeit ihres glaubensmissionarischen Auftrags, worauf Sauer gerade im Blick auf die geistgeleitete missionarische Sendung durch die Gemeinde stets größten Wert legte. Erst durch das Verstehen der Heilsgeschichte wird uns über unser eigenes Glaubensleben hinaus die gewaltige Größe des göttlichen Heilshandelns deutlich, in dem wir selbst unseren auch missionarischen Platz haben. Wenn das Versagen eines großen Teils der Christenheit gegenüber Israel bis in die aktuelle politische Situation hinein bittere Wahrheit ist, wenn nach Thielecke „Christentum die Summe aller Irrtümer um Jesus Christus“ ist, dann ist das nicht zuletzt aus der Weigerung zu verstehen, die Bibel als Wort Gottes zu begreifen und unter heilsgeschichtlichen Kriterien zu deuten.

Der Autor hat sich nicht gescheut, auch die Schwächen in der Person und im Werk Erich Sauers aufzuzeigen, denn der große heilsgeschichtliche Theologe war auch ein Kind seiner Zeit, in deren Verständnis weltgeschichtlicher Zusammenhänge er aufgewachsen war, als Europa, der „weiße Mann“, die Welt beherrschte. Daraus resultierte für Sauer eine heute und auch von der Bibel her nicht mehr akzeptierbare wertdifferenzierende Beurteilung der verschiedenen menschlichen Rassen. Die nationale Katastrophe nach dem Ersten Weltkrieg und die nationalen und pseudochristlichen Versprechungen Hitlers ließen ihn das Satanische des NS-Staates nicht sofort erkennen. Da nach Sauers Vorstellung aber gerade heilsgeschichtliches Verständnis eine klare Beurteilung weltgeschichtlichen Geschehens ermöglicht, war seine damalige Haltung ein Widerspruch zu seiner theologischen Meinung, was aber nur zeigt, wie sehr Menschen dem Denken ihrer eigenen Zeit verhaftet sind. Eine Generation, die in der Sicherheit eines demokratischen Rechtsstaates und im Frieden aufgewachsen ist, sollte deshalb nur mit großer Zurückhaltung darüber urteilen, sieht sie sich doch selbst sehr oft in das Denken und Tun ihrer eigenen Zeit verstrickt.

Das Buch ist mit einer reichhaltigen Bibliographie, einem Anhang photokopierter Quellen, einem biographischen Überblick und einem ausführlichen Sach-, Namens-, Orts- und Bibelstellenregister versehen. Die Menge der Quellenhinweise und Anmerkungen lässt im Blick auf vertiefendes Weiterstudium keine Wünsche offen.

Es ist dem Buch eine weite Verbreitung zu wünschen.

Gerhard Jordy

[zuerst erschienen in: Perspektive 12/2006, S. 26f.]

Lesen Sie zu diesem Buch auch unser Interview mit dem Autor.

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