Interview mit Dietmar PropachDietmar Propach, Jahrgang 1968, wuchs in einer Versammlung der „geschlossenen Brüder“ auf. 1998 schloss er sich der Freien Brüdergemeinde in Waldbröl an. Beruflich ist er in der öffentlichen Verwaltung als System- und Netzwerkbetreuer tätig. In dem Gespräch mit bruederbewegung.de spricht er über seine Motivation, eine Veröffentlichung von Gustav Nagel aus dem Jahr 1913 neu aufzulegen.
Frage: Im Jahr 1913 brachte Gustav Nagel, ein Vertreter der Freien evangelischen Gemeinden, eine Veröffentlichung mit dem Titel Die Zerrissenheit des Gottesvolkes in der Gegenwart heraus (Witten, Buchhandlung der Stadtmission). Darin kritisiert er einige Grundpositionen der damaligen „Christlichen Versammlung“. 1999 haben Sie eine Neuauflage dieser Broschüre in die Wege geleitet. Warum? Was hat der Inhalt einer inzwischen über 90 Jahre alten Veröffentlichung mit der aktuellen Situation zu tun?Propach: Die aktuelle Situation bei den „geschlossenen Brüdern“, d.h. ihre Ansichten zu Themen wie „Gemeinschaft mit anderen Gläubigen“, „Absonderung“ usw. ist in weiten Teilen genauso wie zu Anfang des letzten Jahrhunderts. Als Mitte der 1990er Jahre erneut die Diskussion über diese Themen aufkam, waren wir als junge Brüder sehr verwundert, dass uns ein Konflikt (offen/geschlossen), der schon so alt ist, als „neu“ verkauft wurde. In dieser Situation fiel uns Nagels Veröffentlichung in die Hand, die wir für eine der besten Beschreibungen der „exklusiven Richtung“ halten. Außerdem war es für uns äußerst interessant, einmal zu sehen, wie ein Außenstehender die „Versammlung“ gesehen hat. Und weil diese Beurteilung in vielen Punkten so brandaktuell ist, entschlossen wir uns 1999, die in Vergessenheit geratene Schrift neu aufzulegen.
Frage: Gelten die wesentlichen Kritikpunkte Nagels also immer noch? Hat sich die Situation inzwischen nicht geändert?
Propach: Die wesentlichen Kritikpunkte Nagels, also der Vorwurf der Separation, der Absonderung und Trennung von anderen Gläubigen, gelten heute noch genauso wie damals. Wenn man die heutigen Veröffentlichungen der „geschlossenen Brüder“ betrachtet, muss man leider zu der Feststellung kommen, dass sich die Situation eher noch verhärtet hat.
Frage: Welche Resonanz rief diese Neuauflage denn bei den Lesern hervor? 1999 war das Umfeld der sog. „geschlossenen Brüder“ ja gerade durch unruhige Auseinandersetzungen geprägt.
Propach: Es hat sowohl positive als auch negative Resonanz gegeben. Positive Resonanz durchweg von solchen, die sich von den „Exklusiven“ gelöst haben oder damals im Begriff standen, dies zu tun, aber auch aus den Reihen der sog. „Freien Brüder“. Negative Resonanz kam überwiegend von solchen, die der „exklusiven Richtung“ angehören und jede Kritik von sich weisen.
Frage: Nagels Zerrissenheit war Teil des sog. „Schriftenstreits“ zwischen den „geschlossenen Brüdern“ und Personen der Freien evangelischen Gemeinden. Der Schriftenstreit wurde ja teilweise recht polemisch und unsachlich geführt. Bemüht Nagel sich mit Liebe oder schießt er teilweise über sein Ziel hinaus?
Propach: Ich denke schon, dass sich Nagel in dieser Auseinandersetzung mit Liebe bemüht, zumindest war es sein ausdrücklicher Wunsch, dass Rücksicht und Bruderliebe ihn dabei leiten mögen. Andererseits kann man auch bei ihm eine gewisse Polemik nicht leugnen. Aber wenn man Jahre oder sogar Jahrzehnte bei den „geschlossenen Brüdern“ war, kann man das Problem mit der Polemik etwa wie folgt beschreiben: Man ist teilweise sehr verzweifelt, fühlt sich in die Enge getrieben, auch in der Argumentation. Dann kann es im Eifer des Gefechts oder auch in der Verzweiflung passieren, dass man hier und da polemisch wird. Das war bei Nagel so und ist auch in den letzten Jahren und auch heute immer wieder erkennbar. Nehmen Sie das Heft Ihr liefet gut ... Nachgedanken zur Brüderbewegung (Notting Hill Press, Albsheim 1989) von Max Weremchuk: Viele Punkte sind sachlich richtig, aber die Art und Weise der Darstellung ...?
Frage: Hier und da ist es sicher hilfreich, wenn Außenstehende Hinweise geben, da man als unmittelbar Beteiligter „betriebsblind“ werden kann. War/ist die Brüderbewegung im Allgemeinen bzw. die „geschlossenen Brüder“ im Besonderen bereit, konstruktive Kritik von außen anzunehmen?
Propach: Die „geschlossenen Brüder“ als Gruppe sind heute genauso wenig bereit, konstruktive Kritik von außen anzunehmen, wie vor 90 Jahren, als Nagel seine Schrift veröffentlichte. Damals erkennbar an der Erwiderungsschrift von Rudolf Brockhaus: Die Einheit des Leibes Christi. Ein Wort in Erwiderung auf die Schrift von G. Nagel: „Die Zerrissenheit des Gottesvolkes in der Gegenwart“ (R. Brockhaus Verlag, 1913) und heutzutage an neueren Veröffentlichungen und nichtöffentlichen Schriftstücken. Was allerdings nicht bedeutet, dass nicht Einzelne durchaus bereit wären, Kritik anzunehmen und Ansichten zu hinterfragen.
Frage: Wenn jemand ein Exemplar der 70-seitigen Neuauflage bestellen möchte, an wen kann er sich wenden?
Propach: Am einfachsten ist es, eine kurze E-Mail mit der gewünschten Anzahl an meine Adresse dpropach@gmx.de zu schicken. Eine Broschüre kostet 1,80 Euro (+ Porto); ab 10 Exemplaren gibt es gestaffelte Rabatte.
Die Fragen stellte Ulrich Müller. Das Interview wurde im Januar 2004 geführt.
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