Interview mit Willem J. Ouweneel (1)Willem Johannes Ouweneel wurde 1944 in Zaandam (Niederlande) geboren. Er zählt zu den bekanntesten Vertretern der ehemals „geschlossenen“ Brüdergemeinden in den Niederlanden und ist auch international als Redner und Schriftsteller aktiv. In diesem Interview erläutert er ausführlich einige Positionen und Erfahrungen sowie entscheidende Hintergründe von persönlichen Veränderungsprozessen.
Vielen Interessierten waren bisher nur Bruchstücke irritierender und widersprüchlicher Informationen bekannt, deren Wahrheitsgehalt oft kaum überprüfbar war. Durch diese Informationen aus erster Hand soll erstmals eine differenzierte Auseinandersetzung ermöglicht werden. Biografische Einzelheiten können Sie auch dem von Ouweneel ausgefüllten bruederbewegung.de-Fragebogen entnehmen.
Hinweis: Das Interview steht auch in einer PDF-Version zur Verfügung (40 Seiten, 927 KB).
Überblick
- Einstieg
- Persönliche Lebens- und Entwicklungsphasen:
- Die Rolle der Brüdergemeinden im 21. Jahrhundert
- Persönliche Zukunftspläne und Ansichten
Frage: In unserem bruederbewegung.de-Fragebogen haben Sie auf die Frage nach Situationen, die Sie als besondere Erfahrung mit Gott erlebt haben, drei „Berufungen“ genannt und dabei drei Jahreszahlen angegeben: 1976, 1995 und 2002. Was verbirgt sich hinter diesen Daten?
Ouweneel: 1976 habe ich die biologische Forschung aufgegeben und bin vollzeitlich „Bruder im Werk des Herrn“ geworden (nach der alten Umschreibung). Im gleichen Jahr haben wir auch die Evangelische Hogeschool in Amersfoort gegründet, der ich noch immer verbunden bin. Der Lehrbetrieb wurde allerdings erst 1977 aufgenommen.
Frage: Das war also die Berufung: der Übergang vom normalen Erwerbsleben in den „vollzeitlichen Dienst“?
Ouweneel: Ja, richtig, wenn man das Berufung nennen will. Es war vielleicht eher eine Schwerpunktverlagerung, würde ich sagen. Aber es war natürlich schon eine ganz wichtige Entscheidung.
Frage: In dem Wort „Berufung“ klingt für manche mit, dass Gott selbst jemandem einen neuen Auftrag, eine neue Aufgabe gibt.
Ouweneel: Gut, in diesem Sinne war es sehr wohl eine Berufung. Man kann es aber auch aus der wissenschaftlichen Perspektive sehen: Ich war ein Spezialist geworden das ist jemand, der fast alles weiß von fast nichts. Und das entsprach eigentlich nicht meiner Art; ich wollte lieber ein Generalist sein: jemand, der fast nichts weiß von fast allem. Manche Kollegen fragten 1976: „Verlassen Sie jetzt die Wissenschaft?“ Ich antwortete: „Nein, ich will jetzt ein Wissenschaftler werden.“ Denn Spezialisten haben nicht mehr den Überblick. Das war auch ein Grund dafür, warum ich später angefangen habe, Philosophie zu studieren. 1986 habe ich dann auch in Philosophie promoviert. Das belegt doch, dass ich die Wissenschaft nicht verlassen wollte.
Frage: Georg Christoph Lichtenberg sagt etwas Ähnliches über sog. „Fachidioten“: „Wer nichts als Chemie versteht[,] versteht auch die nicht recht.“
Ouweneel: Ja, das ist ganz richtig!
Frage: Sie haben noch zwei weitere Daten genannt, 1995 und 2002. Können Sie auch diese Daten kurz erläutern?
Ouweneel: 1995 war es eigentlich weniger eine Berufung als ein Abschlusspunkt: Das war das große Jahr der Trennung unter den „geschlossenen Brüdern“. Es war ein längerer Prozess um diesen Zeitraum herum, aber 1995 war doch das Jahr, in dem Den Helder sich von den „Dutch Five“ [J.G. Fijnvandraat, J.Ph. Fijnvandraat, H.P. Medema, W.J. Ouweneel, D. Steenhuis] und ihren Versammlungen trennte; deshalb war das ein einschneidender Punkt. Aber es war mehr Abschluss als Berufung.
Eine echte Berufung war es eher 1991, als ich sah, was die deutschen „Exklusiven“ in Lofer [Österreich] machten. In meinem Buch „Meer Geest in de gemeenten“ [Mehr Geist in den Gemeinden], das am 18. September im Verlag Medema erscheint, habe ich diesen wichtigen Punkt kurz analysiert. Als ich die Nachricht bekam, was die deutschen Brüder in Lofer angestellt hatten, war mir ganz klar: Hier dürfen wir nicht schweigen! Ich wusste aber auch, dass das ein Wendepunkt werden würde. Manche Freunde in Deutschland konnten gar nicht glauben, dass das zu einer Trennung führen würde, aber ich war von Anfang an davon überzeugt.
Ja, und 2002 war meine erste Begegnung mit T.B. Joshua, darauf kommen wir bestimmt später noch einmal zurück. Das hätte ich in dem Fragebogen auch weglassen können, denn eigentlich braucht man zeitlichen Abstand, um die persönliche Bedeutung von Ereignissen richtig einschätzen zu können. Es ist schwierig, etwas zu bewerten, das noch nicht lange zurückliegt.
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